Liebende Väter, brutale Mörder

Die Großnichte von Heinrich Himmler spricht bei Veranstaltung zum Holocaustgedenktag im Hermann-Schafft-Haus

Region Kassel. Holocaustgedenken im Hermann-Schafft-Haus. Rund 300 Menschen drängen sich im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal. Vorne am Rednerpult steht die Politologin Katrin Himmler. Himmler? Ja genau. Katrin Himmler ist die Großnichte von Heinrich Himmler.

Als „Reichsführer SS“, Chef der Polizei und später auch Innenminister im Dritten Reich war Heinrich Himmler einer der mächtigsten Männer im Nationalsozialismus. Er war Motor der Überwachung, der Willkür und des Terrors durch das NS-Regime. Und schließlich auch der Organisator des Massenmords an den europäischen Juden.

Eröffnung der Veranstaltung zum Holocaustgedenktag mit (v.l.) Dr. Axel Wunderlich (Herderschule), Stefan Alsenz (Schulleiter Herderschule), Katrin Himmler, Thomas Ewald (vhs Region Kassel) und Vizelandrat Andreas Siebert.

Für Katrin Himmler ist dieser schreckliche Teil der deutschen Geschichte also auch Teil der eigenen Familiengeschichte. Mit Anfang 30 begann die heute 52-Jährige dieser Geschichte auf den Grund zu gehen. 2005 veröffentlichte sie ihr Buch „Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte“. Darin legt sie offen, dass auch ihr Großvater und weitere Familienmitglieder tief im Nationalsozialismus verstrickt waren. In den letzten Jahren hielt sie Lesungen und Vorträge im In- und Ausland, leitete Workshops zur Familienforschung über die NS-Vergangenheit und beriet und unterstützte andere Menschen bei Recherchen über ihre eigenen Familien.

Katrin Himmler und Thomas Ewald stellten sich auf dem Podium den Fragen der Schüler.

Heute steht sie vor den Schülern der Jahrgangs 13 der Herderschule und zahlreichen interessierten Gästen aus der Stadt und dem Landkreis Kassel. „Über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus wissen viele ganz gut Bescheid. Doch die Verstrickungen der eigenen Familie sind oft ein blinder Fleck“, sagt Katrin Himmler.

Dann erzählt sie von der eigenen Familie und ihren Recherchen. Vom katholischen Urgroßvater in München, vom bürgerlichen Milieu, von der autoritären Erziehung und vom Klassenbewusstsein und dem rassistischen Weltbild, welches in der Familie herrschte. Sie erzählt von Heinrich Himmler, der gerne in den 1. Weltkrieg gezogen wäre, aber noch zu jung war und sich dann den Nationalsozialisten anschließt. Und sie erzählt von seinen beiden Brüdern, die später ebenfalls der SS beitreten und im Schatten Heinrichs einen schnellen beruflichen Aufstieg schaffen. Von Heinrichs Ehefrau, die auch nach dem Krieg weiter an der NS-Ideologie festhält.

Rund 300 Menschen drängten sich im Hermann-Schafft-Haus.

Katrin Himmler bezeichnet ihre Familiengeschichte als „exemplarisch“ für den Weg vieler in den Faschismus. Genauso exemplarisch wie das Schweigen, die Verdrängung und die Verleugnung in vielen Familien nach dem Ende des Dritten Reiches. „In meiner Familie war lange Konsens, dass Heinrich das „schwarze Schaf“ gewesen sei und alle anderen mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun gehabt hätten“, erklärt die Politologin.

Von den Schülern auf die aktuelle Situation und das Erstarken des Rechtsextremismus angesprochen, fordert sie „Bündnisse gegen den Hass“ zu schmieden „und konstruktive Ideen zu entwickeln“. Die Aufarbeitung der NS-Zeit sei ein Prozess der nie zu Ende gehe und dieser dürfe auch nicht auf die Zeit von 1933 bis 1945 eingeengt werden.

Vizelandrat Andreas Siebert betonte: „Dass heute wieder gegen bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft gehetzt wird und manche dieses Kapitel deutscher Geschichte gerne relativieren oder beiseite schieben wollen, ist daher nicht hinnehmbar.“

In seiner Begrüßung der Gäste hatte Vizelandrat Andreas Siebert an die zahlreichen Opfer von rechtsextremistischen Gewalttaten in den letzten Jahren erinnert. „Die Ermordung von 6 Millionen Juden hat nicht erst in den Gaskammern begonnen“, betonte der Vizelandrat. Vorausgegangen sei das Schüren von Hass. Gefolgt von Entmenschlichung, rechtlicher Diskriminierung und schließlich eskalierender brutaler Gewalt. „Dass heute wieder gegen bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft gehetzt wird und manche dieses Kapitel deutscher Geschichte gerne relativieren oder beiseite schieben wollen, ist daher nicht hinnehmbar“, so Siebert.